Babysprache

Babysprache

So viel ist sicher: Wir haben zu Hause eine Kunst-Präsentation. Oder nennt man es heute eine Kunst-Installation? Die Künstlerin ist Joïe. Sie widmet sich gerade dem DADAismus. Ich bin in Hannover aufgewachsen. Dort lernt man früher oder später den Merzbau, das Anna-Blume-Gedicht und anderes von Kurt Schwitters kennen. Und kommt somit automatisch in Berührung mit der DADA-Kunst. Keine Ahnung, wie Joïe da die Verbindung hergestellt hat – jedenfalls sitzt sie gerade den ganzen Tag zuhause und referiert: "Dada da da da. Da da da. Dada mama baba dadada." Sie lächelt dann wie ein ganzer Sonnenschein … und ich frage mich, ob sie denn wohl gerade ein Schwitters-Gedicht rezitiert. Ja. Es ist erstaunlich, wie diese kleine Geschöpfe, unsere Kinder, von ganz klein auf langsam mit der Sprache umzugehen lernen. Bei Joïe hat es im dritten bis vierten Monat bereits mit den ersten Silben angefangen. Damals waren wir stolz wie Oskar, nachdem sie ihre ersten Buh-Buh-Silben gesprochen hat. Sei es beim Wickeln oder nach dem Trinken, immer wenn sie sich wohlig gefühlt hat und zufrieden war, fing sie an zu lächeln und Buh-buh zu sagen. Damals dachte ich: „Nun ja, es ist ja nicht gerade ein besonders schöner Sound, aber immerhin formt sie so etwas wie Worte …“ Mein Mann hat ihr ganz fleißig, bei jedem Wickeln oder Kuscheln, wie ein geduldiger Lehrer Silben zugesprochen: „Gaga, Dudu, Tata“ – in der Hoffnung, dass sie etwas davon aufnimmt und wiederholt. Vielleicht hat sie es ja. Ganz deutlich wurde es bei einem Besuch der Großeltern aus Hannover. Vermutlich hat meine Mutter heimlich ein Studium der Baby-Sprache absolviert, sodass sie mit Joïe nur in seltsamen „A-güü“-Lauten sprach. Und scheinbar verstand das Joïe auch sehr gut, denn dann fing sie an, selber mit „Ah-güüh ah-güüh“ zu antworten, und es zu wiederholen, bei jeder Gelegenheit. Mir wäre so etwas jedenfalls nicht eingefallen … Nach Hannoveranischem Hochdeutsch klang es mir nicht … Joïe amüsierte sich nichtsdestotrotz köstlich, dass sie endlich mit jemandem, nämlich ihrer Oma, frei und verstanden kommunizieren konnte, und so geschah es, dass sie den ganzen Tag, frei nach Schwitters, Silben formte und ihre eigene Stimme erforschte. Die „A-güüs“ verwandelten sich dann in Französisch „R“. Ich bin nun keine Sprachforscherin, aber vielleicht besteht da lauttechnisch irgendein Zusammenhang, der wissenschaftlich erklärt werden kann, dass aus „GÜ“ der Weg zum „R“ nicht weit ist. Es wurde witzig, als Joïe dann minutenlang das „R“ in ihrem Rachen halten konnte, das schien sie sehr zu genießen. Oder wollte sie uns da von Zeit zu Zeit was Spezielles sagen?? Denn manchmal hörte sich die Mischung aus Konsonanten, die sie gerade brabbelte, sehr, sehr ähnlich an wie das Wort „Hunger“. „Hunnn-g-errrrr“ – mehrmals wiederholt, kam dann auch erstaunlicherweise exakt pünktlich zu ihren „Fütterzeiten“ … Oft schauten mein Mann und ich uns verwundert an, als sie dieses „Rrrr“ sehr überzeugend und lang halten konnte. Nach dem „R“ kamen dann die anderen Silben. Ba-Ba-Ba. Je nach Herkunftsland fühlen sich hierbei verschiedene Familienmitglieder angesprochen. Klar, „Baba“ klingt wie der Versuch, Papa zu sagen – also sind die Väter stolz, dass das Kind nicht erst „Mama“ in den Mund genommen hat. Andererseits heisst „Baba“ in vielen slawischen Sprachen, z. B. auch im Russischen, schlicht und ergreifend „Oma“. Touché. Punkt für Oma gegen Papa. Irgendwann, nach viel Überzeugungsmanövern seitens Papa, der ständig die „Mama“-Silben vor Joïe nach der Hammer-Methode wiederholt hat, sagte sie endlich das Zauberwort: „ma ma ma“. So sanft und mit einer solchen engelsgleichen Stimme, dass mein Herz schmolz. Ich war so aufgeregt! Ich lachte und fragte sie gleich zurück: “Joïe, hast du Mama gesagt?“ Und sie lächelte, brachte mich gleich auf den Boden der Tatsachen zurück … und brabbelte: „baba dada nana.“ Irgendwo habe ich gelesen, dass Babys aus allen Ecken der Welt, sei es Deutschland, Nordamerika, Japan, China oder Timbuktu, alle anfangs die gleiche sprachlichen Voraussetzungen haben und mit den gleichen bzw. ähnlichen Lauten, Konsonanten und Silben zu kommunizieren beginnen. Es ist nur ein exogener, also externer Einfluss, der die weitere Fähigkeiten der Sprache formt und fördert. Hört das chinesische Baby also ständig die „Xing-ching-ming“ –Silben, wird es davon geprägt. Oder wird das russische Baby immer mit dem schönen robusten rollenden „R“ konfrontiert, so wird es das auch früher oder später in seinem eigenen Sprachschatz verinnerlichen. Die Baby-Sprachforschung hat viel in den letzten Jahrzehnten gelernt – denn Globalisierung bedeutet eben auch: Babys sprechen längst nicht mehr nur eine Sprache. Bei vielen ist es automatisch bedingt, da Mama und Papa aus verschiedenen Ländern kommen. Bei anderen heißt es – gezielte Sprachförderung in internationalen Kindergärten, wo das Kind, auch ohne Bezug zum bestimmten Land, diese Sprache als Zweitsprache erlernt – meist English, Französisch, Spanisch. Das können Kinder auch – und Babys umso besser, denn ihr Gehirn arbeitet wie ein Schwamm: Es nimmt alles auf. Die bilinguale Babysprachforschung wird heutzutage also viel gefragt. Viele Paare, die nicht aus demselben Sprachkreis kommen, fragen sich, was besser ist für das Baby – wenn nur eine Sprache gesprochen wird, oder beide, oder sind es schon drei??? Ich selbst verlasse mich da ganz auf die persönliche Erfahrung einer guten Freundin, die in Italien lebt und ihr Kind dreisprachig erzieht. Das kleine Mädchen, Elisa, ist mittlerweile ganze 5 Jahre alt und spricht jede der drei Sprachen perfekt. Mit wem sie welche Sprache spricht, richtet sie danach, in welcher Sprache sie die Fragen bekommt. Und das funktioniert. Bislang behaupteten viele Spracherzieher, dass in bilingualen Familien die Mutter ihre Muttersprache mit dem Kind reden sollte, der Vater seine – und so würde es bald beide perfekt lernen. Klingt logisch, ist auch bestimmt mit positiven Erfahrungen belegt. Neuere Sprachstudien über Babys in bi- bzw. multilingualen Familien zeigen jedoch, dass die Kleinen durchaus fähig sind, aus einem babylonischen Wirrwar Sprachen zu unterscheiden und genauso perfekt nachzuahmen, zu entwickeln und zu erlernen – so dass es jetzt heisst: Es sind keine Grenzen gesetzt – Familien brauchen nicht zu warten, um die zweite, dritte und vielleicht vierte Sprache vorzustellen, sondern können einfach darauf loslegen … und das Baby die Sprachen in seinem Kopf sortieren lassen. Das fördere sogar die Gehirnentwicklung im positiven Sinne! Interessanterweise trifft das genau auf meine „Methode“ mit Joïe. Sie ist ein Baby, das bereits mit vier verschiedenen Sprachen konfrontiert wird – und das völlig planlos! Ich achte gar nicht darauf, welche Sprache ich nun mit ihr rede. Während ich sie wickle, spreche ich mit ihr meistens Deutsch. Wenn wir spielen, wechsele ich ab zwischen Englisch und Deutsch. Oft ertappe ich mich jedoch, dass ich mit ihr auch ein Paar Sätze in meiner Muttersprache wechsele. So wie ihr Papa auch – in seiner Muttersprache, die ich selber noch nicht gut genug verstehe … Was Joïe nun aus dem Haufen Silben und Worten machen wird, welche Sprache sie als Erstes zur Kommunikation ergreifen wird, und wie ihre Sprachentwicklung aussehen wird – das sind für uns noch ganz spannende Fragen! Sie scheint alle Sprachen, die wir mit ihr reden, zu verstehen. Und das Beste von allem: Lachen braucht keine Sprache! Und Joïe, als Enkeltochter eines der bedeutendsten Pantomimen Europas, scheint bisher auch sehr gut ohne Worte voran zu kommen – als hätte ihr Opa die Basics der Pantomime schon perfekt beigebracht! Eins steht fest: Dadada dadada da. Wie es weiter geht, erfahrt ihr in zwei Wochen! Bis dahin könnt ihr mir eure Erfahrungen mit Babys, Sprachen und Sprechen verraten! Eure, Radina „Schwitters“ und DADA-Joïe

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