Ganz normal!

Ganz normal!

Ihr Lieben, ich möchte heute gerne über Dinge schreiben, die nicht Themen des Alltags sind, die nicht am gemeinsamen Abendtisch diskutiert werden. Es gibt so unglaublich vieles, das aus Scham oder Bequemlichkeit unter den Tisch gekehrt wird und worüber nicht gesprochen werden kann. Weshalb das so ist, ist mir oft schleierhaft. Ist es unsere Kultur oder Entwicklung? Oder ist es einfach das, was der typisch Deutsche oder Europäer oder der Mensch im Allgemeinen eben tut? Und so fühlen sich Betroffene der jeweiligen Themen oft allein gelassen, unnormal und anders als Andere. Aber selten ist man das auch wirklich. Der moderne Mensch fängt dann an zu googeln und findet so Leidensgenossen oder Erklärungen auf der ganzen Welt. Aber nicht doch daheim oder beim Nachbarn oder im Café um die Ecke. Genau diese Tabuthemen möchte ich heute auch einmal ankratzen. Ganz am Anfang, als mein Blog und ich vorgestellt wurden, wurde ich von meiner lieben Freundin beschrieben als „einen der ehrlichsten Menschen“, die sie kenne. Das hat mir unglaublich geschmeichelt und oft denke ich daran – und wie sehr es mich stört, dass ich als neue Mama in einer ungewohnten Situation erst mühsam erfragen muss, was denn alles normal ist. Wie andere Schwangere sich fühlen und warum diese Dinge mir nicht schon vorher bekannt waren.

Denn wie alles im Leben ist nicht immer alles rosig. Nicht immer geht es mir gut und ich genieße das Leben zu 100 %. Oder vielleicht tue ich das sehr wohl, nur mit ein paar Nebeneffekten, die einfach dazu gehören, über die nur niemand reden mag. Oft werden werdende Mamas als ausgeglichene, überglückliche und strahlende Wesen dargestellt, die keinerlei Probleme oder Sorgen haben. In Ordnung, dann bin ich wohl die einzige Schwangere, der es den ganzen Tag im Bauch rumort und die achtgeben muss, dass sie ihre Blähungen nicht 24 Stunden am Tage öffentlich zur Schau stellt. Und offenbar bin ich die Ausnahme, die als Schwangere verpasst hat, ihre Libido anzukurbeln. Die in den Medien so dargestellte „beste Sache“ an der Schwangerschaft, die Tatsache, dass Frau ununterbrochen beglückt werden will, trifft offenbar nicht auf alle zu. Ich bin nicht eines dieser Liebesmonster. (Wo wird das beschrieben und erwähnt? Ach ja, in den dafür vorgesehenen Foren und Gruppen in den Weiten des Internets.) Und hat man dann doch mal Lust, können sich Bauch und Kondition sehr wohl als Problem herausstellen. Außerdem hat mir keiner gesagt, dass auch Daniel als werdender Vater sich sorgt und durchaus depressiv verstimmt sein kann. Dass er sich sorgt um unsere finanzielle Versorgung und unsere Beziehung und wie er als Papa wohl „abschneiden“ wird. Dass er oft gereizt und unmotiviert ist. Unzufrieden mit sich selbst und seiner Art ist und nicht weiß, woher das kommt. All das, während er mich und unser Baby doch so sehr liebt und nicht verstehen kann, wieso er nicht Blumen pflückend über die Felder hüpft. Ja, auch das scheint normal zu sein. Eine Belastung für unsere Beziehung und am allermeisten für sich selbst, aber eben normal. Es hilft dann doch, irgendwo lesen zu können, dass es ok ist. Ein einfaches „Ok“ hilft oft schon sehr.

Erst vor einigen Tagen habe ich einer Freundin geschrieben, wie ich mich fühle. Zu 60 % Freude, zu 40 % Angst. Ich fühle mich eigentlich so gut vorbereitet. So wunderbar erhaben. Anderen Müttern gegenüber, die selbst noch nie etwas mit Kindern zu tun hatten. Oder mit Kindernotfällen oder mit Geburten. Aber all die Erfahrung und was man bei seinen Geschwistern gelernt hat, wird auf einmal ganz klein und scheinbar unbedeutend. Es ist eben doch etwas Neues. Etwas Neues, Unbekanntes, auf das wir uns aber auch sehr freuen. Wie es wohl riechen wird und wie zerquetscht es wohl sein wird. Und wie schwer es wohl ist und wie es sich anfühlt. Und dann sehe ich wieder unseren Junghund vorbeimarschieren, bei dem ich manchmal wirklich die Geduld verliere und am Ende meines Wissens und meiner Kraft angekommen bin. Wie soll ich es dann nur schaffen, ein Kind großzuziehen?

Dass man sich am Partner nicht immer nur hilfesuchend anlehnen und darauf vertrauen kann, dass er all diese Befürchtungen nicht hat und sich seiner Sache absolut sicher ist, habe ich schon lange bemerkt. Aber irgendwie gefällt mir das nun sogar noch besser. Wir nehmen uns gegenseitig die Angst und sind manchmal gemeinsam ratlos und beängstigt. Und nicht mehr allein. Es macht schon Sinn, wie die Natur es geplant hat. Dass man diese Kindersache zu zweit durchläuft und nicht allein. Das muss unglaublich schwierig sein. Wer würde mir nur das Wasser in die Wanne einlassen, wenn meine Rippen wieder so sehr schmerzen, dass ich Schwierigkeiten beim Atmen habe? Wer würde mir nur sagen, dass ich auch dick noch wunderschön bin? Wer würde es mit Humor nehmen, dass ich die Wohnung wieder mit Blähungen verseuche? Oder wenn ich mal wieder die Toilette besetze, obwohl mein Kind meine Verdauung lahm gelegt hat. All das will man nicht alleine durchmachen. Und man möchte in der Lage sein, darüber zu sprechen. Oder wenigstens wissen, dass es normal ist, was man hat. Mir hat niemand erzählt und mich vorgewarnt, dass ich aufgrund meiner vielen Blasenentzündungen mal aufpassen müsste, wie ich niese oder huste, damit ich nicht wie eine alte Frau in meine Hose pinkeln würde. Wer möchte mit 22 schon damit beginnen, inkontinent zu werden? Und wer möchte schon darüber sprechen und zugeben, dass er es sehr wohl damit zu tun hat? Allerdings kann man auch einfach seine Scherze darüber machen und sich nach jedem Nieser verschwörerisch angrinsen und seinem Partner verständlich machen, dass man diesmal alles an Ort und Stelle behalten konnte. Oder sich von seinem Mann Binden hinterher tragen lassen. Ich wurde praktisch von Daniel genötigt, mich beim Yoga anzumelden, um etwas für meine Beckenbodenmuskulatur zu machen.

Man könnte beginnen, seinen Körper für seine Rundungen und Besonderheiten zu lieben. Seine kleinen „Fehler“ akzeptieren und sich darüber freuen, was einen schön und einzigartig macht. Denn das tun auch die Menschen, die einen lieben. Sie akzeptieren dich auch so. Mit deinen Macken und deinen Eigenarten. Der Tatsache, dass man nicht den lieben langen Tag beglückt werden will und dass man manchmal ein Stinktier sein kann. Oder auch den ganzen Tag. Man ist mit sich selbst immer am kritischsten und dabei müsste man das nicht. Denn auch ein Körper, der ab und zu ein wenig undicht ist, gehört dazu und ist nun mal deiner. Meiner. Und genauso liebenswert wie der einer jeden anderen Person. Und wenn das jetzt jemand liest, der andere Probleme oder vielleicht ähnliche hat und den es sehr belastet, denkt einfach an mich. Irgendwo sitzt eine, die darauf aufpassen muss, nicht in die Hose zu machen. :)

Eure Leonie

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